Teil 12: Kartoffeln auf die 1!

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Torsten Kluske

Auf der Suche nach 10 Kartoffelgerichten sollte man Poutine nicht vergessen

Man schaut den Menschen immer nur vor den Kopf. Vielleicht ist aus dieser alten Binse der TikTok-Trend entstanden, der im Rahmen der Fußball-EM durch Florian Wirtz durchs Internet dribbelt: Bei dem Spiel werden dem Protagonisten, der sich selbst mit der Frontkamera seines Handys filmt, Gerichte zu einem bestimmten Thema auf die Stirn, also vor den Kopf projiziert. Möglichst schnell und spontan – was im Falle Wirtz nur mäßig gelingt – soll der Spieler dann die Speisen auf der Lieblingsskala von 1-10 einordnen. Die Gerichte rattern, ähnlich wie die Symbol-Walze eines einarmigen Banditen, auf der Stirn des Stürmers. Das erste Gericht: Pommes. Wirtz wählt sie auf die zweite Stelle seines Best-Of-Rankings. Es folgen „normale Kartoffeln“, was er mit „Ich würde sogar sagen: auf die 1“ kommentiert.

In den sozialen Netzen breitete sich daraufhin eine gewisse Häme aus, wobei ich nicht so recht verstehe, warum? „Normale Kartoffeln“ gehören eindeutig auf die 1. Viel merkwürdiger ist, dass im weiteren Spielverlauf das Bild mit einem Kartoffelgratin zweimal erscheint. Und hier zeigt sich Witz mit Recht sichtlich verwirrt. Als ob es nicht genug Kartoffelgericht gäbe, um ein 10er-Ranking zu füllen. Zum Beispiel Poutine, den kanadischen Kartoffel-Klassiker. Dafür werden Pommes frites mit Bratensauce übergossen und anschließen mit quietschendem Käse überbacken. Womit die drei Komponenten des Gerichts schon erwähnt sind und sich eine genauere Betrachtung lohnt:

Gravy

Eine klassische Gravy wird aus den Bratrückständen in einer Pfanne zubereitet. Sie hat ihren Ursprung in England (von Greaves = Grieben). Die Rückstände, die in der Pfanne beim Anbraten eines Steaks entstehen, werden mit etwas Wein oder Wasser gelöst und reduziert. Danach wird dieser Sud bis zur gewünschten Konsistenz mit einer Mehlschwitze, Stärke oder etwas Butter angedickt.

French Fries

Die entscheidenden Merkmale guter Pommes? Innen weich, außen knusprig. Leider ist dies gar nicht so einfach zu erreichen. Vielleicht hat Wirtz sie deswegen auch nur auf den zweiten Platz hinter die normale Kartoffel gesetzt. Ein bekannter Tiefkühl-Fritten-Hersteller verwendet Erdäpfel mit einem sehr hohen Stärkegehalt von etwa 20 %. Die Stärke bindet beim Erwärmen das Wasser im Inneren zu einer Art weichem Gel. So kann es nicht mehr an die Oberfläche der Kartoffelstäbchen und diese dort aufweichen. Zusätzlich entsteht beim Frittieren durch geplatzte Stärkekörnchen eine knusprige Außenschicht aus Amylose. Um zu Hause aus rohen Kartoffeln perfekte Pommes zuzubereiten, die nicht vor Fett triefen, gibt es einen ungewöhnlichen Trick: Legt man rohe Kartoffelstäbchen in kaltes Fett und erhitzt dieses langsam auf etwa 160 °C, erhält man nach ca. 20 Minuten knusprige Pommes, die einen geringeren Fettgehalt haben, als die Variante aus der Fritteuse. Oft wird angenommen, dass sich weiche, biegsame Pommes, die bei zu wenig Hitze frittiert worden sind, mit Fett vollgesogen hätten. Dies ist nicht der Fall. Sie sind lediglich durch das enthaltene Wasser, welches bei den geringen Temperaturen nicht verdampfen konnte, weich geworden. Sofern aber gegen Ende des Garprozesses das Fett heiß genug zum Bräunen der Oberfläche ist, werden auch die Pommes knusprig. Verwenden Sie in diesem Fall vorwiegend festkochende Kartoffeln.

Cheddar

Ursprünglich stammt der heute meistverkaufte Käse der Welt aus dem kleinen, namensgebenden Ort in England. Mit dem Original hat die industrielle Version jedoch nicht mehr viel zu tun. Diese wird beispielsweise mit einem Pflanzenfarbstoff namens Annatto orange eingefärbt, um einen hohen Carotingehalt der Milch von Gras fressenden Kühen zu simulieren. Bei der klassischen Herstellung wird die Milch auf ca. 34 °C erwärmt und Lab zugefügt. Der entstandene Käsebruch wird fein geschnitten, um die Molke zu entfernen. Dadurch verfestigt sich die Masse und hat anschließend eine gummiartige, quietschende Konsistenz, ähnlich einem Halloumi-Käse. In Kanada wird dieser Bruch in Stücke geschnitten und unter dem Namen „en grains Cheddar“ verkauft. Beim englischen Original geht der Herstellungsprozess noch etwas weiter. Der Bruch wird fein gehäckselt, gesalzen und mit hohem Druck in die endgültige Käseform gepresst. Mit Mullbinden und Schweineschmalz gegen zu schnelles Austrocknen geschützt, reift der Käse etwa 12–18 Monate in einem Raum bei perfekter Temperatur und Luftfeuchtigkeit und entwickelt so seinen charakteristischen Geschmack.

Natürlich können die Fritten einfach mit Bratensauce übergossen und mit Käsebröckchen bestreut werden. Es geht aber auch eine feine Variante, wie auf dem Bild: mit Cheddar gratinierte Kartoffelstäbchen auf Bratensaucen-Spiegel. Egal wie, das Gericht ist erstaunlich lecker! Aber sicher wird es nicht die normale Kartoffel von der 1 verdrängen.

Wer das Kartoffel-Spiel noch nicht kennt und anschauen möchte, findet es hier

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