„Spaghetti Carbonara ist ein US-amerikanisches Gericht!“ Mit dieser kernigen Aussage hat Alberto Grandi ein ganzes Land gegen sich aufgebracht. Was alles noch schlimmer macht: Grandi ist Professor an der Universität in Parma, sein Spezialgebiet: Die Geschichte der italienischen Küche.
So ist seine Behauptung zwar provokant, doch nicht völlig aus der Luft gegriffen: Das Nudelgericht wurde laut Grandi erstmals 1944 von einem italienischen Koch für amerikanische Soldaten zubereitet. Und zwar aus deren Speck- und Eierrationen. Klingt plausibel, ist jedoch ein Affront gegen die empfindliche italienische Seele. Viel schöner wäre doch die Legende eines kalabrischen Köhlers, der, begleitet von einem Huhn, im tiefen Buchenhain die aufgetürmten Holzscheite entzündet. Und während er aufpasst, dass die Holzkohle nicht verbrennt und sein Huhn zufällig ein Ei legt, bereitet er sich mit einem Stück Guanciale, Parmesan und Pecorino ein leckeres Nudelgericht zu. Was man eben so dabei hat, wenn man auf Arbeit geht. Sahne gab er natürlich nicht hinein, denn er hatte keine Kuh.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie eng die Grenzen der Interpretation italienischer Klassiker gesteckt sind, hilft eine Meldung der Accademia Italiana della Cucina, der 1953 gegründeten Hüterin der klassischen, italienischen Küche. Das 1982 dort hinterlegte und notariell (!) beglaubigte Rezept für ein „Ragù alla bolognese“ wurde nach langem Hin und Her dem aktuellen Zeitgeist angepasst: Seit letztem Sommer muss nicht mehr das Zwerchfell, es darf großzügigerweise auch ein anderes Teilstück des Rindes verwendet werden. Und jetzt halten Sie sich fest: Sogar ein Brühwürfel, sofern von bester Qualität, ist erlaubt. Was mich wiederum ein wenig konsterniert zurücklässt: Wenn ich ein Bolognese-Video mit Brühwürfel drehen würde, wäre der Aufschrei sicherlich groß.
Die leicht nachvollziehbare Quintessenz aus Grandis Recherche ist folgende: Die meisten der heute verbreiteten und vermeintlich geschichtsträchtigen Rezepte, basieren eben nicht auf Zubereitungen des Mittelalters oder der Antike, sondern vielmehr auf einer Entwicklung, die erst Anfang des letzten Jahrhunderts begann. Und allein durch die über 5 Millionen Italienerinnen und Italiener, die zwischen 1820 und 1978 in die USA auswanderten, fand natürlich ein Mischmasch der Kulturen samt Kulinarik statt. Was dann wann, wo und wie entstand, ist heute nur noch schwer oder gar nicht nachvollziehbar.
Auch bei meinem heutigen Gericht ist ein amerikanischer Einfluss nicht völlig auszuschließen: Für „Mozzarella in Carrozza“, also „in der Kutsche“, werden sogar im traditionsbewussten Italien Toastscheiben verwendet. Seinen Ursprung hat das Gericht in der rustikalen Bauernküche der ländlichen Region Kampaniens, doch damals wurde mit Sicherheit kein Toastbrot verwendet. Vielmehr ging es bei all diesen Gerichten vorwiegend darum, nicht mehr ganz so frische Produkte, also beispielsweise trockenes Landbrot, geschmacklich aufzuwerten. Hierfür wurde das steinharte Brot in Wasser eingeweicht.
Bei frischem Toastbrot ist das natürlich nicht nötig.
📖 Rezept
Mozzarella in Carrozza Für 2 Portionen:
- 4 Scheiben Toastbrot
- 125 g Mozzarella
- 1 Ei
- 50 g Mehl zum Panieren
- 10 g Parmesankäse (fein gerieben)
- Mildes Olivenöl zum Frittieren
- Salz zum Abschmecken
Die Rinden der Toastbrotscheiben abschneiden und zu feinen Bröseln zerkleinern. Den Mozzarella in nicht zu dünne Scheiben schneiden und 2 Toasts damit belegen. Etwa 0,5 cm Rand freilassen. Den Käse leicht salzen. Dann je eine Scheibe Toast darauflegen und alles gut zusammendrücken. Die Eier verquirlen, salzen und mit dem geriebenen Parmesankäse mischen. Die Toasts rundherum erst in Mehl, dann in Ei und schließlich in den Bröseln wenden. Dabei die Ränder sorgfältig verschließen. In einer Pfanne reichlich Olivenöl erhitzen und die Toasts schwimmend darin rundherum goldbraun braten. Auf Küchenpapier entfetten und heiß servieren.
Mit etwas Fantasie ähnelt der in die Länge gezogene Mozzarella, beim herzhaften Biss in das Sandwich, den Zügeln zwischen Pferd und Kutsche. Ebenfalls zügeln sollten Sie Ihren Appetit auf die Kalorienbomben, zumindest, wenn sich Ihre körperliche Arbeit darauf bezieht, hin und wieder den Bürostuhl hoch und runter zu fahren. Bürojobs gab es in den Zeiten, als das Gericht erfunden wurde, mit Sicherheit nicht. Und während ich am Schreibtisch diese Zeilen tippe, vermute ich stark, dass der damalige Kalorienverbrauch um einiges höher war als heutzutage.