Meuchelmörder Mirácoli
Es gab eine Zeit, in der ich mich nur am Rande fürs Kochen interessierte. Meine kulinarische Kreativität zeigte sich in den ersten Jahren nach dem Abitur darin, dass ich Salami und Käse auf der Fertigpizza vor dem Backen neu arrangierte. Beides war verrutscht, nachdem ich den Pizzakarton hochkant in der Fahrradtasche transportiert hatte. Etwas extra Mozzarella als Topping war für mich dann die schöpferische Krönung. Mit dem Ergebnis, dass der ansonsten spärlich belegte Keksboden in der Mitte völlig durchweichte. Eine weitere Delikatesse waren für mich Spaghetti Mirácoli, die ich mit einem Stück Butter verfeinerte. Auf diese raffinierte Idee kam ich eigentlich nur, weil sich die Nudeln nach dem Kochen immer zu einem kaum zu entwirrenden Klumpen zusammenwurschtelten. Da half etwas Butter. Olivenöl kannte ich damals nur vom Hörensagen. Viel später erfuhr ich, dass ein ordentliches Stück Butter der Clou der weltbekannten Tomatensauce der legendären Köchin Marcella Hazan ist.
Was mich damals faszinierte, war der Bausatz des Fertiggericht-Klassikers: Neben Nudeln fanden sich in der Packung ein Alubeutel mit Tomatenmark und zwei Tütchen mit undefinierbarem Gekrümel. Eines davon war zum Glück beschriftet: „Pamesello“. Die gelbe Farbe des Pulverinhalts, die durch das milchige Papier schimmerte, und die Zeichnung auf der Tüte deuteten auf geriebenen Käse hin. Auch wenn man sich nach dem Öffnen und einer ersten Geruchskontrolle immer noch nicht ganz sicher sein konnte. Hatte man diese Hürde genommen, war die Zubereitung ein Kinderspiel. Während die Nudeln kochten, bereitete ich damals in Ermangelung eines zweiten Topfes, die Sauce immer in einer Pfanne zu. Sofern man das Ganze überhaupt „Zubereitung“ nennen kann, denn man mischte den Inhalt des Tütchens, das weniger nach geriebenem Käse aussah als das andere, mit dem Tomatenmark und etwas Wasser. Die Flüssigkeitsmenge wurde von der Tomatenmarktüte vorgegeben: Zweimal bis zur Markierung füllen. So wurde das Ganze auch gleich für den gelben Sack ausgespült. Da hatte sich jemand mal richtig Gedanken gemacht.
Diese nur entfernt an Spaghetti Napoli erinnernden Nudeln mit Tomatensauce, kommen Traditionalisten sicher einem Meuchelmord an der italienischen Cuisine gleich. Doch vor kurzem stieß ich auf eine Zubereitung, die mich doch sehr an das Gericht von damals erinnerte. Und zwar, wenn ich – wie immer – eine zu große Menge zubereitet hatte. Dann blieb der Nudel-Saucen-Mix über Nacht in der Pfanne und trocknete etwas ein. Wenn ich ihn am nächsten Tag erhitzte, entstanden ein paar knusprige und angeröstete Stellen. Dann gab ich nach und nach etwas Wasser dazu, bis wieder eine einigermaßen sämige Konsistenz erreicht war. Die knusprigen und angerösteten Stellen waren dann der Clou der aufgewärmten Pasta.
So oder zumindest so ähnlich muss die Erfindung der Spaghetti All´Assassina, also nach Art der Meuchelmörder abgelaufen sein. Anders kann man sich die recht krude Zubereitung kaum erklären. Doch erfunden wurde sie in Italien: Nicht auf Sizilien, wie man ob des Namens vielleicht annehmen könnte, sondern in Bari, einer Stadt in Apulien.
📖 Rezept
Spaghetti All´Assassina Für 3-4 Portionen
Für die Tomaten-Brühe
- 1 Liter Wasser
- 100 g Tomatenmark (3-fach)
- 10 g Salz
Für die Nudeln und Sauce
- 150 g passierte Tomaten
- 150 ml Olivenöl
- 3 Knoblauchzehen
- 1 rote frische Chilischote
- 400 g Spaghetti mit kurzer Garzeit (6-9 Minuten)
Für die Brühe: Wasser, Salz und Tomatenmark in einem Topf mischen, aufkochen und bei kleiner Hitze köcheln lassen. Das Olivenöl in eine Pfanne geben, in die die Nudeln passen. Die Nudeln hineingeben, etwas ausbreiten und im heißen Öl anbraten. Es sollen sich rustikale Röstaromen entwickeln. Wenn die untere Schicht goldbraun ist, die Spaghetti wenden und die passierten Tomaten dazugeben. Wenn wieder schöne Röstaromen entstanden sind, eine in Ringe geschnittene Chilischote und 3 abgezogene und in dünne Scheiben geschnittene Knoblauchzehen dazugeben. Alles kurz mitbraten und nach und nach die Tomatenbrühe zufügen, bis die Nudeln den gewünschten Garpunkt haben. Zum Schluss sollte die Sauce wie bei einem Risotto fast verkocht und die Nudeln gar sein.
Wer sich denkt: „Ich breche die Nudeln einfach durch, dann passen sie besser in die Pfanne“, sollte sich vorsehen. Sonst kommen die Meuchelmörder und die verstehen da keinen Spaß.