Teil 41: Carpacchio - Großes Gericht mit grandioser Geschicht´
Ein Carpaccio von Roter Bete oder vom Thunfisch ergibt gerade noch Sinn. Pilze, Lachs oder was auch immer heute in möglichst hauchdünner Schicht auf den Tellern landet, führt dagegen in die Irre und hat mit der Idee des Gerichts nichts zu tun. Und auch Rucola auf einem dünn aufgeschnittenen Rinderfilet ist Killefit. Wer meint, das italienische Wort „Carpaccio“ bedeutet „dünn geschnitten“, liegt völlig falsch. Das vom italienischen Gastronom Giuseppe Arrigo Cipriani erfundene Gericht, trägt den Namen des Malers Vittore Carpaccio. Der lebte im 15. Jahrhundert in Venedig. Und warum gerade dieser Künstler der Namensgeber einer heute weltbekannten Vorspeise wurde, erzählt die folgende Geschichte:
Cipriani eröffnete 1931 in Venedig eine Weinbar und taufte sie: „Harry´s Bar“. Auf den ersten Blick vielleicht etwas ungewöhnlich für ein italienisches Etablissement, doch dazu kommen wir noch. Spätestens seit Stammgast Ernest Hemingway das Lokal in seinem Buch „Über den Fluss und in die Wälder“ verewigte, brach der internationale Jetset ein: Maria Callas, Truman Capote, Charlie Chaplin, Orson Welles oder Alfred Hitchcock gaben sich regelmäßig die Klinke in die Hand. Unter den Gästen war auch Contessa Amalia Nani Mocenigo. Über die Dame ist wenig bekannt, nur das Cipriani angeblich eine gewisse Zuneigung zu der verheirateten Frau verspürte. Eines Tages begrüßte Sie den Wirt mit den Worten: „Ich würde gerne eine Kleinigkeit essen, aber ich kann mir mein geliebtes Entrecôte nicht mehr gönnen“. Bei ihr sei Blutarmut festgestellt worden und der Arzt hätte empfohlen, auf gegartes Rindfleisch zu verzichten. Cipriani verschwand sofort in der Küche und servierte der Gräfin dünn aufgeschnittenes, rohes Rinderfilet mit einer Sauce auf Mayonnaise-Basis. Und die Gräfin war begeistert.
Die Idee, anstatt des „geliebten Entrecôtes“ ein rohes Rinderfilet aufzuschneiden, ist sicherlich nicht Cipriani zuzuschreiben, denn schon länger gab es in Italien Speisen mit rohem Rindfleisch. Auch ein Rinderfilet ist im rohen Zustand recht zäh und ein Genuss nur möglich, wenn man es fein hackt oder eben hauchdünn aufschneidet. Die kreative Komposition Ciprianis bezieht sich daher eher darauf, dass er das Fleisch mit seiner schon vorher bekannten Sauce ergänzte: eine Mayonnaise, die er mit Zitronensaft und Worchestershire-Sauce abschmeckte und mit einem Schuss Milch verdünnte.
Der Name der rot-weißen Speise war dann schnell gefunden und hier kommt nun endlich der eingangs erwähnte Maler ins Spiel: 1963 besuchte Cipriani eine Ausstellung mit den Werken Carpaccios im Dogenpalast. Offensichtlich hatten sowohl der Künstler als auch der Barbesitzer eine Vorliebe für auffällige Farben, genauer gesagt: Rot und Weiß.
Und so schließt sich der Kreis und wir wissen nun: Auf ein originales Carpaccio gehört rotes, rohes Rindfleisch und weiße, dünnflüssige Mayonnaise. Mehr nicht. Kein Grünzeug und auch kein noch so dünner Fleischersatz. Auch wenn es aus gesundheitlicher Sicht vielleicht sogar Sinn ergeben hätte, hätte die Gräfin sicher dumm aus der adligen Wäsche geguckt, wenn ihr ein Teller mit Roter Bete anstelle des Rinderfilets serviert worden wäre.
Zum Abschluss, bevor es zum Rezept geht, noch die versprochene, nicht minder unterhaltsame Geschichte, wie zu dem ungewöhnlichen Namen „Harry´s Bar“ kam: In den 1920er Jahren lernte Cipriani den US-amerikanischen Studenten Harry Pickering kennen. Der residierte im Hotel Europa, Cipriani arbeitete dort als Barmann. Man kam ins Plaudern und Pickering erzählte von einem Streit mit seiner wohlhabenden Tante. Die hatte die Eskapaden ihres alkoholsüchtigen Neffen satt und strich ihm die finanzielle Unterstützung. Aus Mitleid mit dem nun mittellosen, jungen Mann lieh Cipriani ihm 10.000 Lire, eine damals beachtliche Summe, um Harry die Rückreise in die Staaten zu ermöglichen. Der kam einige Jahre später zurück. Dankbar für die einstige Hilfe und vom Alkoholismus geheilt, gab er nicht nur die geliehene Summe zurück, sondern legte weiter 30.000 Lire obendrauf – genug Geld für Cipriani, um sich 1931 den Traum einer eigenen Bar zu erfüllen. Zu Ehren des Geldgebers nannte er sie „Harry´s Bar“. Schon bald war das Lokal für seine kleinen Speisen und Cocktails bekannt. Vor allem dem bis heute berühmten „Bellini“ aus Champagner und püriertem Pfirsich. Ja, auch der wurde von Cipriani erfunden und auch diese Kreation benannte er nach einem Maler, dessen Ausstellung er 1948 besuchte: Giovanni Bellini, der Mitte des 15. Jahrhunderts die venezianische Malerschule der Frührenaissance gründete und dort einer der Lehrer Carpaccios war.
📖 Rezept
Womit wir beim Rezept angekommen wären:
Für 2 Portionen:
- 200 g Rinderfilet
- 50 g Mayonnaise
- 1 EL Worchesterhire-Sauce
- 1 TL Zitronensaft
- 2-3 EL Milch zum Verdünnen der Mayonnaise
- Salz und weißer Pfeffer aus der Mühle
Das Fleisch auf keinen Fall einfrieren, auch wenn dies oft empfohlen wird. Die Qualität leidet, da durch die sich bildenden Eiskristalle Zellen im Fleisch zerstört werden und es dadurch an Flüssigkeit verliert. Um trotzdem zu hauchdünnen Scheiben zu kommen, das Fleisch möglichst dünn gegen die Fasern schneiden und anschließend vorsichtig klopfen oder mit einer breiten Messerklinge ausstreichen.
Die möglichst hauchdünnen Scheiben in einer Lage auf einem Teller verteilen und mit der Cipriani-Mayo dekorieren. Dafür die Mayonnaise mit Zitronensaft, Worchestershire-Sauce, Salz und Pfeffer abschmecken und mit etwas Milch verdünnen. In eine Spritzflasche füllen und künstlerisch ein filigranes Rautenmuster auf das Fleisch malen.
Mit einem einfachen grünen Salat als Beilage servieren.